erleichtert und beschämt
Ich hatte schwer aufgeladen. Ratternd zog ich die voll beladene Karre über das Kopfsteinpflaster der Einrichtung. Darauf lagen ineinander gestapelt leere Kartons. Da kam mir eine behinderte Frau entgegen. Eine Faust vor den Mund gepresst stieß sie aufgeregte Töne aus. Ich wurde unsicher und verlangsamte meinen Schritt. Ich kannte sie: Claudia - sie hatte in ihrer Wohngruppe schon öfter mal für Ärger gesorgt. Wie komm ich nur an ihr vorbei, dachte ich, denn ich bin keine Pädagogin und hatte es eilig. Einfach ruhig sprechen und erzählen, was du tust, das hilft meistens, wusste ich. "Hallo Claudia, ich muss die leeren Schachteln entsorgen. Gell, ich mach vielleicht einen Krach mit meinem Karren!" Ihr aufgeregtes unverständliches Gebrabbel wurde noch lauter und sie blieb mit etwas Abstand vor mir stehen. Vorsichtig versuchte ich ihr auszuweichen, doch sie versperrte den Weg. "Ich muss das zurück in die Pforte bringen", erklärte ich. Sie stieß weiterhin aufgeregte Laute aus und machte fahrige, ungelenke Bewegungen dazu. Sie tänzelte nervös hin und her und ich stand ihr gegenüber. Normal weiterreden, einfach normal weiterreden. Doch meine Nervosität wuchs, denn sie konnte auch handgreiflich werden, das wusste ich. Dann plötzlich verstand ich unter dem Gebrabbel ein Wort: "na..na..na...Karton". Dann erst wurde mir bewusst, dass ihre fahrigen Bewegungen ein Deuten meinten. Sie zeigte auf den Weg, von dem ich herkam. Da lag er, der Karton! Ich hatte ihn verloren. Sie hatte mich nur darauf aufmerksam machen wollen, dass ein Karton vom wackeligen Karren gerutscht war und auf dem Weg lag. "Vielen Dank, Claudia", sagte ich ehrlich erleichtert, überrascht und beschämt. Ich hatte mir so manches ausgerechnet, aber ganz bestimmt nicht, dass die geistig behinderte Frau eine echte Kommunikation mit mir beginnen wollte und auch noch was Wichtiges zu sagen hatte.
(Mein Caritas-Moment im Jahr 2013)